DIE SCHÄFERLINDE ZU BLANKENBURG
Ein Schäfer in Blankenburg grämte sich einst, seiner Arbeit wegen. Nein, er liebte es Schäfer zu sein, das war es nicht. Doch hatte er sich in die junge Gabrielle verliebt, ein selten schönes Ding mit wallend rotem Haar und grünen Äuglein, deren Vater ein angesehener und reicher Bürger des Städtchens war. Gabrielle fand wohl auch gefallen an dem Schäfer, denn tagtäglich kam sie, um mit ihm unter seiner Linde zu sitzen, den Wildblumen beim Wachsen zuzuschauen, den Vöglein zu lauschen, zu schweigen und zu träumen. Mutig genug, um bei ihrem Vater vorzusprechen und um ihre Hand anzuhalten, war er aber nie. Er kannte den Mann nur zu gut und wusste, dass er bitter verlacht werden würde, denn einem einfachen Mann wie ihm, würde der seinen größten Schatz niemals vermachen.
Bald aber wurde Gabrielle furchtbar krank, lag mit teuflischem Bauchweh und eines Blutsturzes wegen darnieder und kein Medikus oder anderer Gelehrter wusste, wie man der Schönen Linderung verschaffen könnte. Da bot der Vater demjenigen, der sie zu heilen verstände, viel Geld und Grund, worauf sich als letzte Hoffnung der Schäfer vorstellte und meinte, vielleicht guten Rat zu wissen.
„Ich gebe dir alles, was dein Herz begehrt, wenn es dir nur gelingt meine Tochter zu heilen. Wehe aber sie stirbt, dann wirst auch du nicht mehr froh!", mahnte Gabrielles Vater, worauf der Schäfer ein Kraut hervorzog. Mit der Hälfte der Garbe, goss er Tee auf und gab ihr diesen lauwarm zu trinken. Den Rest zerrieb er mit Butter und trug die Salbe dem Mädchen sanft auf den schmerzenden Stellen auf! „Lieber Gott, lass es wirken!", dachte der Schäfer bei sich. Bisher hatte er das Kraut nur bei sich selbst eingesetzt, um eine Blutung zu stillen oder die Wundheilung zu unterstützen, hatte er sich einmal bei seiner Arbeit verletzt. Den kranken Schafen hatte er es abgeguckt, vor allem den bald Gebärenden. Diese machten sich mit Hochgenuss über jenes Kraut her, dass er bald Schafsgarbe nannte - Garbe, ein altdeutsches Wort, das soviel wie „Gesundmacher" bedeutete.
Und, gesund machte es das Mädchen auch, so schnell, dass der Vater und alle Heiler es kaum fassen konnten. „Was ist deines Herzens Begehr?", fragte er und reichte dem Schäfer ein Beutelchen voll silberner Taler entgegen. Das war mehr Geld, als dieser in drei Leben verdient hätte. „Mein Herz begehrt nur deine Tochter, sie möchte ich zum Weibe!", sagte der Schäfer und lehnte das Silber entschieden ab und der Vater, der musste sich wohl oder übel fügen.
Weil des Vaters Herz aber nicht rein war, hatte der Teufel leichtes Spiel mit ihm. „Willst du dem Schäfer deine Tochter lassen?", lachte der Höllenfürst, „So acht' dich kein Mann mehr! Ich aber schaff sie dir herbei. Und wenn du willst, dann wird gemacht, dass niemand niemals mehr über deinen Namen lacht!"
Wie der Pakt geschlossen ward, verwandelte sich Urian in eine wunderschöne Frau mit goldenem Haar, das verspielt deren prächtige Kurven leicht verdeckte. So verstellt machte sich der Höllenfürst auf den Weg zur Schäferlinde, den Schäfer zu reizen und zur Untreue zu bewegen. Der aber roch den Braten, nahm eine ausgewachsene Schafsgarbe und sagte zur blonden Versuchung, „Wenn du mich wirklich liebst, kannst du mir sicher sagen, wie viele Blättchen an diesen Kräutern wachsen, die hier auf dieser Weide stehen!" Und da der Teufel seit jeher eine unbändige Zähllust hatte, machte er sich als blondgelockte Dirn auch gleich daran, die feinen Blätter zu zählen. Doch immer wieder verzettelte er sich gehörig, vergaß darüber alle bösen Vorhaben und sitzt sicher noch heute an Ort und Stelle und zählt. Der Schäfer nahm währenddessen seine Gabrielle zur Frau und saß mit ihr tagein, tagaus unter der Linde, sah den Wildblumen beim Wachsen zu, lauschte, liebte und genoss.
(Text verwendet mit freundlicher Genehmigung von Carsten Kiehne in: „Kräutersagen aus dem Harz“)